Zusammenfassung
Die Familie Schlarb in Jugoslawien gehörte zu den Donauschwaben, einer Gruppe von Einwandern aus dem Westen Deutschlands, die sich im 18. Jahrhundert auf Einladung des österreichischen Kaisers nördlich von Belgrad ansiedelten. Die donauschwäbischen Siedlungen sollten die Südostgrenze des Reichs bevölkern und so nach der Verdrängung der Türken sichern . |Einzelheiten|
Unter Kaiser Joseph II. kamen Nikolaus Schlarb und seine Familie aus dem Hunsrück (Rheinland-Pfalz) nach Siwatz, das heute in der serbischen Provinz Wojwodina liegt. |Einzelheiten|
Ein Urenkel des Nikolaus, Adam Schlarb, wanderte mit seiner Familie im späten 19. Jahrhundert weiter nach Süden in die Provinz Ostslawonien, um im Ort Rajevo Selo eine neue Existenz aufzubauen. |Einzelheiten|
Auch wenn sie ganz bewusst "Deutsche" blieben, lebten die Schlarbs in Frieden mit ihren kroatischen, serbischen und bosnischen Nachbarn, selbst nach der Nazi-Invasion von Jugoslawien 1941. Im Zweiten Weltkrieg wurden junge Männer der Rajevo Selo Schlarbs zum Kriegsdienst unter Nazi-Deutschland eingezogen. |Einzelheiten|
Als die Rote Armee von Rumänien her nahte und die Gefahr wuchs, von Titos Partisanen überfallen zu werden, folgte die Schlarb-Familie dem Evakuierungsbefehl von Oktober 1944 und flüchtete nach Westen. Sechs Wochen lang reiste die Familie unter der Leitung von Jakob Schlarb sen. mit Pferd und Wagen durch ganz Ungarn und halb Österreich bis nach Neumarkt-Kallham (Oberösterreich), wo sie vorläufig Quartier fand. Nach zwei Jahren übersiedelten die Schlarbs zu Bauern im Mittelfranken (Bayern), wo sie weitere zwei Jahre gegen Unterkunft und Verpflegung arbeiteten. |Einzelheiten|
Im Juni 1948 konnten sie ein Moor nahe Rosenheim (Bayern) zur Kultivierung übernehmen. Hier rodete man die Felder, errichtete Baracken als Wohnhäuser und grub Entwässerungskanäle. In wenigen Monaten konnten die ersten Feldfrüchte geerntet werden. Aus diesem Einsatz entstand eine Bauernsiedlung, die heute den Namen Schlarbhofen trägt. |Einzelheiten|
Karten zur Geschichte der Donauschwaben und der Familie Schlarb
Das Schicksal der Familie Schlarb im ehemaligen Jugoslawien ist typisch für die Volksgruppe der Donauschwaben. Nicht wie jene Schwaben, die man heutzutage in weiten Teilen Baden-Württembergs antrifft, waren die Donauschwaben ursprünglich kein einheitliches Volk mit eigener, klar identifizierbarer Sprache und eindeutigem Stammgebiet. Vielmehr wanderten Menschen aus weiten Teilen Deutschlands, von der Pfalz und dem Schwarzwald bis Franken und Bayern, in die Gebiete der Habsburger Kaiser entlang der Donau ein und wurden erst dort zu einem einigermaßen einheitlichen Volk samt eigenem deutschen Dialekt, Brauchtum und eigener Tracht.
Am Anfang dieser Wanderbewegung standen die Türkenkriege des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Jahr 1683 stand der Türkenführer Kara Mustafa und sein gewaltiges Heer nach einem Jahrzehnte dauernden Feldzug vor den Toren Wiens. Nur mit Hilfe des polnischen Fürsten Jan III. Sobieski konnte der damalige österreichische Kaiser Leopold I. die Belagerung der Stadt brechen und das Türkenheer in die Flucht schlagen. Während der folgenden Jahrzehnte drängten die kaiserlichen Truppen die türkische Besatzungsmacht immer weiter nach Süden und Osten zurück. Zuerst wurden die wichtigsten Städte Ungarns (Budapest 1686; Szeged 1687), dann auch Belgrad (1688) befreit; zum Schluss besiegte Prinz Eugen von Savoyen das türkische Heer bei Temeschwar (1716). Mit dem Friedensvertrag von Passarowitz 1718 gelangte das ganze Gebiet nördlich von Belgrad bis Siebenbürgen - das entspricht heute etwa Ostungarn und Nordserbien bzw. der Wojwodina - wieder in den Besitz des österreichischen Kaisers.
Krieg und Besatzung hinterließen einen öden, entvölkerten Landstrich von eminent strategischer Bedeutung. Nichts war nahe liegender als Bauern aus übervölkerten Teilen des Habsburger Reiches hierher zu holen, um feste Siedlungen aufbauen und in den fruchtbaren Auen zwischen den Flüssen Donau, Save und Theiß Ackerbau betreiben zu lassen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde in der Folge zu drei so genannten Schwabenzügen aufgerufen. Zuerst unter Karl VI. (1711-1740), dann Maria Theresia (1740-1780) und schließlich unter Joseph II. (1780-1790) kamen Siedler aus Südwestdeutschland (Elsass, Pfalz, Württemberg), aus Bayern aber auch aus Italien und Frankreich, angelockt mit der Aussicht auf befristete Steuerfreiheit, eigenes Ackerland und materielle Hilfe bei der Ansiedlung, um sich an der Südostgrenze des Habsburgreiches niederzulassen.
Die donauschwäbischen Siedler
In
der Regel waren diese Siedlungsaktionen gut vorbereitet. Jede Familie bekam
genügend Grund für Äcker, Wiesen, Weiden und Haus sowie
Vieh und Werkzeug zugeteilt; die Siedlungen wurden nach vorgegebenem Plan
angelegt; die Ortschaften genossen unter ihrem Ortsvorstand ein bestimmtes
Maß an Autonomie in kultureller Hinsicht. Wenn, wie es besonders
nach dem ersten Schwabenzug kam, viele einen frühen Tod fanden, dann
war das auf Krieg oder Seuche zurückzuführen. Noch in den frühen
Jahren des 18. Jahrhunderts gelangten die Türken immer wieder über
die Donau und rotteten ganze donauschwäbische Dörfer aus. Für
das Leben in einer sumpfigen Landschaft mit heißem Sommerwetter hingegen
waren nur die robustesten deutschen Siedler gerüstet. Häufige
Überschwemmungen erhöhten die Krankheitsgefahr. Die Erinnerung
an die ersten schweren Jahre schlägt sich in folgendem Spruch nieder,
den die später nach 1945 nach Deutschland Zurückgekehrten zum
Vergleich des eigenen Schicksals mit dem Los ihrer Vorfahren oft zitierten:
Die Ersten fanden den Tod,
die Zweiten die Not,
die Dritten erst Brot.
Bis zur letzten Siedlungsperiode unter Joseph II. waren jedoch die schlimmsten Härten in der neuen Heimat bereits überwunden worden.
Für die deutschen Kolonisten spielte die Religion im Leben eine bestimmende Rolle. Der Siedlungsplan wurde nicht selten von der konfessionellen Zugehörigkeit der Neuankömmlinge bestimmt. So entstand etwa unter Maria Theresia, die noch den Übertritt zum katholischen Glauben von protestantischen Einwanderern verlangte, vorerst ein katholisches Bauerndorf. Später, als Joseph II. ausdrücklich protestantische Siedler einlud, entstand ein neues, von Lutheranern bevölkertes Viertel im Dorf. Es kam sogar vor, dass auch Reformierte und Lutheraner in voneinander getrennten Siedlungen wohnten. Dies hatte unter anderem seinen Grund darin, dass bei der Besetzung von wichtigen Ämtern im Dorf die konfessionelle Zugehörigkeit oft eine wichtige Rolle spielte. Während die Reformierten ihren eigenen Pfarrer wählten, mussten die Katholiken mit dem vom Bischof eingesetzten Pfarrer Vorlieb nehmen; darüber hinaus war die Kirchenzugehörigkeit des Dorflehrers eine Frage, die alle anging.Die Vorfahren der jugoslawischen Schlarbs stammten
aus dem Hunsrück, einem Hügelland, das heute in Rheinland-Pfalz
liegt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts folgten viele Bauern und kleine
Handwerker aus dieser Gegend der Einladung des österreichischen Kaisers
Josephs II, sich in den Habsburger Kronländern an der südöstlichen
Reichsgrenze niederzulassen. Unter den pfälzischen Siedlern im so
genannten Dritten Schwabenzug befand sich ein gewisser Nikolaus Schlarb
aus Bärenbach bei Söhren. Motiviert durch die Aussicht auf Land
und Freiheit kamen er und seine Familie um das Jahr 1786 nach Siwatz, einem
Ort, der heute in der Provinz Wojwodina in Serbien liegt. Damals hieß
das Gebiet zwischen den Flüssen Donau und Theiß und nördlich
von Belgrad die Batschka (dt. Batschgau). Bezeichnenderweise ließ
sich diese reformierte Familie in Neusiwatz nieder, einer neulich gegründeten
Bauernsiedlung unweit des vorwiegend katholischen Ortes Siwatz.
Es muss bezweifelt werden, ob die sprichwörtliche Erfahrung
von "Tod und Not" auch noch bei Nikolaus Schlarb und seinen Nachkommen
zutrifft, denn Siwatz hatte schon seit mehr als 40 Jahren bestanden; bei
der Ansiedlung gab es ausreichend viele etablierte Nachbarn, die über
den ersten Winter hinweg halfen. Auch wenn er nicht verhungert ist, fand
Nikolaus Schlarb laut Aufzeichnung bereits im 64. Lebensjahr, am 1.2.1814,
den Tod. Wie die meisten Donauschwaben, hinterließen er und seine
Frau eine Anzahl von Kindern. Diese wiederum heirateten und gründeten
eigene Höfe samt großen Familien.
Zuerst schlug es ihn nach Dobanovci im Kreis Semlin (Zemun, heute in
Serbien) wo er 1877 Katharina geb. Waller heiratete. Bald zog das frisch
vermählte Paar nach Rajevo Selo im Kreis Zupanja in Ostslawonien (heute
ein Teil Kroatiens) und baute sich eine Existenz auf. In den Jahren 1878
bis 1902 wurde ihnen eine Schar von Kindern geboren, die später zur
Gründergeneration von Schlarbhofen gezählt werden sollten: Katharina (1878), Adam (1879), Margarethe (1881), Susanna
(1883), Adam (1886), Jakob (1887), Theresia (1889), Christina (1890), Heinrich
(1892), Peter (1894), Franz (1896), Karl (1898), Johann (1902).
In Rajevo Selo, einem vorwiegend kroatischsprachigen Ort, brachte es
die Familie Schlarb zu einem verhältnismäßigen Wohlstand.
Mit der Zeit führten die Söhne nicht nur eigene landwirtschaftliche
Betriebe sondern auch eine Anzahl von weiterverarbeitenden Betrieben, wie
etwa eine Getreidemühle und eine Spinnerei. Ihr Alltag war im wesentlichen
von der bäuerlichen Arbeit und somit von der Ordnung geprägt,
welche die Folge von Saat und Ernte sowie der tief empfundene religiöse
Glaube der dörflichen Gemeinschaft vorgaben. "Halte Ordnung, und die
Ordnung wird dir Halt verleihen" ist das Motto, dem diese Landbewohner
in ihrer Lebensweise verpflichtet waren. Neben strengen Sitten kannten sie
jedoch auch ausgelassene, Genuss betonte Feste wie Hochzeiten
und das jährliche Schlachtfest oder "Schlachte", bei dem die Großfamilie
mehrere Schweine zerlegte und zu Wurst und Fleischwaren verarbeitete. Dabei
sang man und scherzte, erfreute sich an der Gemeinschaft und an üppigen
Köstlichkeiten.
Das Haus der Famile Jakob Schlarb sen. in Rajevo Selo
Wie
andere donauschwäbische Bauern nahmen die Schlarbs selten Notiz von
Ereignissen außerhalb ihres Dorfs. Das Geschehen in für sie
fernen Großstädten wie Wien und Belgrad tangierte sie kaum, auch die großen
politischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts, wie die Revolution vom
März 1848 in Wien und der Ungarn-Aufstand im gleichen Jahr, nahmen
sie nur insofern wahr, als diese Ereignisse im Alltagsleben der deutschsprachigen
Siedler schließlich Spuren hinterlassen sollten. Der österreich-ungarische
Ausgleich von 1867 brachte einerseits mehr Rechte und größere
Autonomie für die ungarischen Untertanen des Kaisers in der einen
Reichshälfte, die Donauschwaben mussten hingegen bald feststellen,
dass der ihnen bei der Ansiedlung vom Kaiser zugesicherte Minderheitenschutz
zusehends an Bedeutung verlor. Somit hielt in der Schule und am Amt Kroatisch immer stärker Einzug. Deutschsprachige Reichsbürger
wie die Schlarbs sahen sich immer mehr einer teils unterschwelligen, teils
offensichtlichen Diskriminierung gegenüber.
Dem zum Trotz legten die Schlarbs großen Wert auf ihre kulturelle Identität als Deutsche. In den eigenen vier Wänden bedienten sie sich konsequent der deutschen Sprache. Dieses Bewusstsein von der Zugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft wurde nach dem Ersten Weltkrieg und dem Übergang Slawoniens in jugoslawische Herrschaft zugleich zum Verhängnis und zur Rettung der Schlarb-Sippe, wie die weitere Geschichte zeigen sollte.
Nach dem Zerfall der Donaumonarchie strebten fast alle Reichsvölker die vom US-Präsidenten Woodrow Wilson propagierten Selbstbestimmung der Völker an. Während Serben und Ungarn einen eigenen Staat erhielten, gingen andere Volksgruppen wie Slowenen, Kroaten, Bosnier, Kosowarer und auch die Volksdeutschen in Jugoslawien leer aus. Mit dieser groben Festsetzung nationaler Grenzen wurden zwar größere Verwaltungseinheiten geschaffen, damit wurde jedoch auch die Zwietracht gesät, die sich in zwei Kriegen in Form von Vertreibung, ethnischer Säuberung und Massenvernichtung entladen sollte. Gerade im Umkreis von Rajevo Selo, zwischen Vukovar, Bijeljina, Tuzla und Bosanski Brod wurden nicht nur hunderte von Tausenden von Volksdeutschen aus ihren Häusern gejagt, am Fluss erschossen oder in Konzentrationslagern hingerichtet, sondern später dann auch unzählige bosnische Moslems, Kroaten und Serben.
Für uns ist der Nationalsozialismus nicht
mehr und nicht weniger als eine politische Partei. Die Partei ist aber
nicht gleichbedeutend mit dem Muttervolke und die Parteiführer nicht
gleichbedeutend mit Deutschland. Es hat für uns ein Muttervolk gegeben,
bevor diese Partei auf den Plan getreten ist und es wird ein Deutschland
geben, wenn das jetzige Regime längst der Geschichte angehören
wird.
(Adam Berenz, Die Donau, Nr. 8/1937, zitiert nach J. V. Senz, Geschichte
der Donauschwaben, München 1993, S. 220)
Dieses prophetische Wort sollte auch für die Familie Schlarb in wenigen Jahren persönlich in Erfüllung gehen.
Im Jahr 1937 richtete die nationalsozialistische Regierung in Berlin die "Volksdeutsche Mittelstelle" ein. Dieses Amt sollte sich der Aufgabe widmen, den vielen Volksdeutschen außerhalb des so genannten Vaterlands, also neben Donauschwaben unter anderem. auch Sudetendeutschen, Schlesiendeutschen und Ostpreußen, unterstützend, koordinierend und organisierend unter die Arme zu greifen. Die Volksdeutsche Mittelstelle - oder VOMI abgekürzt - ergriff im Zweiten Weltkrieg Partei für die Volksdeutschen Jugoslawiens, manchmal sogar über deren Interessen hinweg. Nach dem Sturz der Belgrader Regierung durch serbische Offiziere im März 1941 eroberten reichsdeutsche Truppen ganz Jugoslawien und installierten bald darauf eine eigene Regierung für Kroatien in Zagreb. Über diese Ereignisse aus ihrer Sicht berichten betroffene Mitglieder der Familie Schlarb:
Die deutschen Bewohner des Dorfes [Rajevo Selo] wurden seit dem Belgrader
Putsch (27. März 1941) von den Behörden beobachtet. Vier führende
Männer wurden in der Gemeinde als Geiseln festgenommen, alle übrigen
Ortsbewohner durften den Ort nicht verlassen. Sämtliche Männer
des Dorfes, die anläßlich der Mobilmachung des jugoslawischen
Heeres die Einberufung zum Militärdienst erhielten, folgten ihr. Die
meisten kamen jedoch nicht zum Einsatz. Es gab keine Entwaffnung zurückgehender
jugoslawischer Soldaten, und es kam zu keinen Sabotageakten.
(Donauschwäbische Kulturstiftung, Weißbuch der Deutschen
aus Jugoslawien, München 1992, Ss. 758f., im Folgenden:
Weißbuch)
Daraus geht hervor, dass auch die Schlarbs sich bis zum deutschen Einmarsch als treue Staatsbürger Jugoslawiens verhielten.
Mit Hilfe der VOMI durften die Volksdeutschen Jugoslawiens erstmals nach außen hin als Körperschaft öffentlichen Rechts auftreten. Daneben arbeitete die VOMI jedoch im Hintergrund daran, Hitlers eigene Geheimabsicht zu verwirklichen, die Donauschwaben "heim ins Reich zu holen". Diese Absicht blieb auch den Mitgliedern der Familie Schlarb verborgen; hätten sie davon gewusst, wären sie damit nicht einverstanden gewesen. So traf sie der Evakuierungsbefehl 1944 völlig unvorbereitet.
Nach dem deutschen Einmarsch in Jugoslawien 1941 war das Land noch lange nicht befriedet. In Kroatien einerseits drangsalierten die so genannten "Ustascha" (dt. "Aufständische") ihre serbisch-orthodoxen Mitbürger und zwangen sie zum Übertritt zum römisch-katholischen Glauben. Gleichzeitig entstanden in Serbien kommunistische Partisanenverbände unter der Führung Titos neben den schon lange bestehenden serbisch-nationalen Tschetniks, einer weiteren, der serbischen Krone verpflichteten paramilitärischen Organisation. Damit waren alle Voraussetzungen für offenen Bürgerkrieg erfüllt. Je mehr die Ustascha die Serben Kroatiens bedrohten, desto mehr Zulauf hatten die kommunistischen Partisanen, die zwar mit dem orthodoxen Glauben nichts Gemeinsames hatten, deren Ideologie jedoch immerhin die Gleichstellung aller slawischen Völker im neuen sozialistischen Staat versprach.
Nicht zuletzt auf Grund ihrer unparteiischen Haltung blieben die Rajevo Selo Schlarbs im Krieg vor Angriffen seitens der jugoslawischen Untergrundverbände verschont:
"Die Ustascha haben die Serben bedroht, zwangen sie zur Umtaufe auf
den katholischen Glauben, wollten die serbische Kirche niederreißen,
was mir gelang zu verhindern", berichtet Jakob Schlarb. "Dies wurde mir
von den Tschetniks hoch angerechnet, deren Stab jenseits der Sawe in Vucilovac
stationiert war, und dies trug viel dazu bei, daß wir während
der Kriegsdauer nie von den Partisanen bedroht wurden."
(Weißbuch, S. 759)
Unparteilichkeit sollte aber der Familie Schlarb, wie allen anderen Volksdeutschen Jugoslawiens, letzten Endes nichts nützen. Denn ungeachtet der loyalen Haltung der Donauschwaben gegenüber Jugoslawien vor 1941, hatten sowohl serbische als auch kroatische Politiker beschlossen, nach dem Krieg das Land von jeglicher deutscher Präsenz zu säubern. Dieser Beschluss festigte sich noch mehr als donauschwäbische Soldaten in den Dienst des deutschen Reichsheers traten. Auch junge Männer der Schlarb-Familie leisteten Kriegsdienst für Nazi-Deutschland. Zunächst bildeten die Volksdeutschen lediglich ein Selbstwehr-Korps, um ihre Dörfer vor Partisanen-Übergriffen zu schützen. Auf ausdrücklichen Befehl des SS-Führers Himmler hin wurde aber bald daraus eine eigene Division mit dem Namen "Prinz Eugen", der nur volksdeutsche Soldaten angehörten. Da laut Gesetz nur "Reichsdeutsche" – d.h. in Deutschland Geborene – in die Wehrmacht eintreten durften, wurde die volksdeutsche Division direkt der SS als Teil der "Waffen-SS" unterstellt. Auch wenn nach außen hin betont wurde, für Volksdeutsche bestehe keine Wehrpflicht, spricht einiges dafür, dass die Schlarbs und andere de facto regelrecht zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Dies geht unter anderem aus einem Schreiben Himmlers an die VOMI 1942 hervor:
Ich bitte, Janko [den Führer der Volksdeutschen] darüber
mündlich aufzuklären, daß ich als der vom Führer bestimmte
Verantwortliche für die Volksdeutschen in der Welt die Wehrpflicht
für diese Volksgruppe erklärt habe, daß jedoch aus außenpolitischen
Gründen von einer Veröffentlichung dieser Erklärung abgesehen
wurde... Es ist unmöglich, daß Deutsche in Europa irgendwo als
Pazifisten herumhocken und sich von unseren Bataillonen beschützen
lassen.
(Weißbuch, S. 79)
Dieser Umstand erklärt, warum nach dem Zweiten Weltkrieg einige Angehörige der Familie Schlarb die Schmach einer SS-Vergangenheit ertragen mussten. Die Betroffenen wussten zwar alle selber, dass ihnen nichts Anderes übrig geblieben war, als in die Waffen-SS einzutreten, diesen Umstand aber Bekannten, Nachbarn und Arbeitskollegen in ihrer neuen Heimat, in der Bundesrepublik Deutschland, in Kanada oder den USA zu erklären, war und blieb ungemein schwierig.
Mit der Niederlage vor Stalingrad im Februar 1943 und der alliierten Invasion an der Normandie-Küste im Juni 1944 begannen die deutschen Kriegsfronten beiderseits schnell abzubröckeln. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Volksdeutschen in Jugoslawien den Übergriffen der sowjetischen Roten Armee und der jugoslawischen Partisanen ausgesetzt würden. Dabei zeichnete es sich bereits im serbischen Banat ab, dass die Volksdeutschen mehr von Letzteren zu fürchten hatten. Die Rote Armee verhaftete Ortsführer und andere politisch Verantwortliche lediglich, die Partisanen hingegen hatten es auf Blutrache für die deutsche Besatzung und endgültige Auslöschung jeglicher deutscher Präsenz in Jugoslawien abgesehen. Eine verbreitete Theorie sieht die Brutalität, mit der die Partisanen vorgingen – und die übrigens auch für die Jugoslawien-Kriege 1991-1999 kennzeichnend war – als kulturelles Relikt aus der langen Epoche der türkischen Besatzung:
Die besondere Grausamkeit der Kriegführung auf dem Balkan ist
keine Sondererscheinung des letzten Krieges [i.e. des Zweiten Weltkriegs]
gewesen... Die Geschichte der Kriege und Kämpfe unter den Stämmen
und Völkern des Balkans ist zugleich eine Geschichte fürchterlicher
Grausamkeit, Plünderungen, Brandschatzungen, Vergewaltigungen. Im
wesentlichen sind es Einflüsse der türkischen Herrschaft, die
sich hier noch auswirken. Dem türkischen Kriegervolk stand die Vorstellung
einer "Heiligkeit" des Menschenlebens durchaus fern, der Islam predigte
die Ausrottung der Ungläubigen. So haben die Türken in ihren
Eroberungskriegen Städte und Dörfer zerstört, alte Frauen
und Männer ermordet, junge Frauen und Mädchen in die Sklaverei
geführt, die feindlichen Soldaten erschlagen. Im Kampf gegen die Türken,
die Unterdrücker, entwickelten die Völker des Balkan natürlich
entsprechende Methoden.
(G. Scheller, zitiert nach G. Böddeker, Die Flüchtlinge,
Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, München 19955,
S. 342)
Bereits im September 1944 zogen Donauschwaben aus dem rumänischen Banat durch Slawonien auf der Flucht vor der Roten Armee. Doch die für die Evakuierung zuständige VOMI mit Sitz in Berlin überblickte die Situation nicht. Einerseits glaubte man an eine deutsche Gegenoffensive an der jugoslawisch-rumänischen Grenze im Banat. Zudem befahl Hitler den Verbleib aller Volksdeutschen, um die Kampfmoral nicht zu schwächen. Auch wenn Hitlers ursprünglicher Plan eine Umsiedlung der Donauschwaben in andere Reichsgebiete vorgesehen hatte, passte dieses Szenario nunmehr schlecht in seine sich in den letzten Kriegsmonaten abzeichnende Adhoc-Strategie, die vor allem auf das Durchhalten und das Warten auf die Wunderwaffe setzte.
So kam es, dass die Volksdeutschen bis zuletzt verunsichert waren. Die Älteren neigten zum Bleiben, wiegten sie sich wohl eher in Sicherheit, da sie den Übergang von der Donaumonarchie zum Königreich Jugoslawien unbeschadet überlebt hatten. Die Jüngeren hingegen, insbesondere solche mit höherer Bildung, sahen die herannahende Gefahr, doch auch sie durften nicht nach Westen ziehen. Etliche, darunter auch Angehörige der Familie Schlarb, machten sich trotzdem auf, passierten die österreichische Grenze unbemerkt und tauchten in Österreich unter. Die jungen Männer der Prinz Eugen Division hatten natürlich keine Wahl; Erschießung als Deserteur wartete auf jeden, der versuchte heimzukehren.
Erst am 2. Oktober 1944 wurde das Fluchtverbot aufgehoben, zu einem Zeitpunkt, als die Rote Armee im serbischen Banat weit vorgedrungen war. So konnte in dieser Gegend, etwa 150 Kilometer von Rajevo Selo entfernt, nur 10 Prozent der volksdeutschen Bevölkerung evakuiert werden. Nun durfte die volksdeutsche Führung eine generelle Flucht organisieren und durchführen. Trotz der knappen Zeit gelang dies auch in Ostslawonien, wie der Bericht von Jakob Schlarb darlegt:
Die Evakuierung wurde von der Kreisleitung Vinkovci organisiert.
Die Wagen der Ortschaften von Rajevo Selo, Gunja, Racinovci, Drenovci sammelten
sich in Rajevo Selo, in Zupanja kam noch der Ort Vrbanja dazu. Als Treckführer
fungierte ich, es half mir noch mein Bruder Franz. Es war ein Treck von
350 Wagen und ca. 1000 Personen. Marschrichtung: Esseg, von da über
die Drau, durch Ungarn, bei Sopron über die Grenze.
(Weißbuch, S. 759)
Nur wenige, alte oder gebrechliche Menschen fanden in den Eisenbahnwaggons Platz, der weitaus größte Teil schloss sich in einem Treck zusammen, einer Kolonne von Pferdewagen, auf denen Mütter, Kinder und Greise saßen, während die Rüstigeren nebenher marschierten. Nur das Notwendigste aus dem Haushalt konnte mitgenommen werden, man war froh, die Familie zusammenhalten zu können. Über dem Wagen spannte man ein Zeltdach als Schutz gegen Wind und Regen, manchmal musste man auch darunter übernachten, wie Jakob Schlarb berichtet:
Jeden Abend ging die Furcht um über die Unterbringung. Oft wurde
die Frage an mich gerichtet: "Jakob-Vetter, wie weit fahren wir noch?"
Ich antwortete: "Ja, noch weit." Übernachtung auf offener Straße,
in Regen, Sturm und Wind. Die armen, braven Pferde zitterten, die Kinder
weinten und die Alten mit.
(Weißbuch, S. 759)
Der Flüchtlingstreck, den Jakob Schlarb anführte, verließ Rajevo Selo am 14. Oktober 1944. Vier Tage später, am 18. Oktober, passierte er die Grenze zu Ungarn bei Osijek (dt. Esseg). Nun waren sie formell im deutschen Reich und somit vorläufig in Sicherheit. Die tägliche Herausforderung der Nahrungsbeschaffung für Mensch und Pferd und die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit begleiteten sie noch viele Tage. Insbesondere die Alten taten sich schwer angesichts solcher Härten, manche von ihnen starben sogar unterwegs. Am nächsten großen Meilenstein auf der Flucht kam der Treck am 2. November vorbei: An diesem Tag erreichte man Sopron (dt. Ödenburg) in Westungarn:
Sechs Kilometer nach Sopron kam die Grenze. Dann fuhren wir durch
deutsche Dörfer.
(Eva Jason geb. Schlarb, Handschriftliche Chronik 1948-1952; im Folgenden:
Chronik)
Es waren natürlich österreichische, also höchstens "reichsdeutsche" Dörfer, durch die die Familie Schlarb in den Novembertagen des Jahres 1944 gezogen ist. Aber hier sprach man Deutsch, man konnte sich besser verständigen. Nicht zuletzt war man von der stillschweigenden Erwartung beflügelt, unter "Deutschen" würde man das Flüchtlingsschicksal leichter ertragen können. Diese Hoffnung entpuppte sich jedoch als Chimäre. Denn Österreich hatte viel im Krieg gelitten: Städte waren ausgebombt, Lebensmittel wurden rationiert, Not und Hunger bestimmten auch hier den Alltag. Flüchtlinge aus dem Osten stellten lediglich eine weitere Herausforderung an eine bereits zusammengebrochene Versorgungslage dar.
Allmählich wurde die nächtliche Kälte zu einem immer größeren Problem: "In der Nähe von Ebenfurth wurde der Treck in zwei Teile geteilt, um das Übernachten d.h. die Unterbringung zu erleichtern" (Chronik). Alle freuten sich außerordentlich, als in St. Pölten, 40 Kilometer westlich von Wien, Unterkunft in einem Haus gefunden werden konnte.
Wohin? Die Frage war immer brisanter geworden, seitdem der Treck die österreichische Grenze passiert hatte. Denn die Schlarb-Familie war über 150 Jahre lang in Jugoslawien gewesen, es gab weder in Deutschland noch in Österreich engere Verwandte mehr. Ein Enkelsohn Adam Schlarbs, Jakob jun., war im Voraus mit seiner Familie nach Neumarkt-Kallham gezogen, einem Dorf in Oberösterreich nahe Grieskirchen, wo er Beschäftigung und Unterbringung gefunden hatte. Nichts lag näher als diesen kleinen Hausruckviertler Ort aufzusuchen und die Sippe wieder zu vereinen.
Der Empfang in Neumarkt-Kallham war keineswegs begeistert:
Wir meinten, unsere Reise beendet zu haben. Aber dies war nicht der
Fall. Allmählich kamen die Bauern aus ihren Häusern und schauten
uns mißtrauisch an. Nach drei Stunden Bedenkzeit wurden uns die Wohnungen
zugeteilt. Wer bekamen für 10 Personen einen kleinen Raum.
(Chronik)
Zwei Tage danach wurde die Schlarb-Familie in großzügigeren Quartieren bei den Bauern Josef Kirnbauer und Josef Rebhan im Ortsteil Holzleiten untergebracht. Dort blieben die Schlarbs eineinhalb Jahre, bis August 1946. In dieser Zeit arbeiteten sie bei den Bauern mit; für ihren Feldeinsatz erhielten sie Lebensmittel. Somit ging es ihnen nicht schlechter als dem Durchschnitt der österreichischen Bevölkerung zu Kriegsende. Nur, sie hatten alles verloren: Die Großbauern waren zu Landsknechten geworden.
Knapp ein Monat nach der Einquartierung in Neumarkt-Kallham, am 16. Dezember 1944, starb das Sippenoberhaupt Adam Schlarb. Mit seinen 88 Jahren war er schon in Jugoslawien gebrechlich gewesen; geschwächt von den Strapazen der Reise, fand er sich in der neuen, fremden Umgebung nicht mehr zu Recht. Den Wiederaufstieg seiner Söhne, Töchter und Enkelkinder sollte er nie erleben.
Was war inzwischen den wenigen volksdeutschen Bewohnern Rajevo Selos geschehen, die sich dem Treck nicht angeschlossen hatten? Darüber gibt Jakob Schlarb ein wenig Auskunft:
15 Personen, hauptsächlich in Mischehen, blieben im Dorf zurück.
Nach dem Einmarsch der Partisanen blieb es zunächst im Dorf ruhig.
Nach etwa zwei Monaten wurden alle Deutschen bei Nacht geholt, "vier sofort
liquidiert und Sawe-abwärts geschickt; der eine, halbtot gefoltert,
starb kurze Zeit darauf. Vier kamen ins Lager nach Mitrowitz, wo einer
starb, drei durften nach dreijähriger Internierung in den Heimatort
zurück, wo sie der Überwachung der Milicija unterstellt sind."
(Weißbuch, S. 759)
Später stellte die Wissenschaftliche Kommission der deutschen Bundesregierung fest, dass die Partisanenverbände einen regelrechten, planmäßigen Völkermord an den zurückgebliebenen Donauschwaben verübten. Exekutionseinheiten der Partisanen zogen von Dorf zu Dorf, internierten die Volksdeutschen und erschossen eine große Zahl von ihnen, darunter auch Frauen und Kinder. Zwischen Oktober 1944 und April 1945 wurden im Zuge der von Tito angeordneten Aktion Intelligenzija rund 10.000 Volksdeutsche umgebracht, zumeist besser gestellte Personen oder solche in leitender Stellung. Im Laufe des Jahres 1945 wurden die meisten Überlebenden enteignet und in Konzentrationslagern zusammengezogen, von wo aus sie zu Zwangsarbeit herangezogen wurden. Insgesamt 150.000 Donauschwaben, darunter 30.000 aus Jugoslawien, wurden nach Russland abtransportiert, wo in den folgenden Jahren über 20 Prozent den unmenschlichen Lebensbedingungen erlagen. Die sowjetische Regierung bestand nämlich auf großen Kontingenten volksdeutscher Zwangsarbeiter als Wiedergutmachung für die Schäden, die die deutsche Wehrmacht in den Kriegsjahren angerichtet hatte. Erst Anfang der 50er Jahre wurde den Zurückgebliebenen die Ausreise in die Bundesrepublik gestattet. Dabei mussten Tausende von donauschwäbischen Familien auf die eigenen Kinder verzichten; diese wurden nämlich ihren Eltern weggenommen und zu jugoslawischen Staatsbürgen erzogen. Insgesamt starben ca. 69.000 Volksdeutsche Jugoslawiens zwischen dem Einmarsch der Roten Armee und der endgültigen Befriedung des Landes.
Eine Ironie der Geschichte will es haben, dass die Schlarb-Familie so nach Deutschland zurückkehrte, wie sie einst von dort weggezogen war: als arme Bauern ohne Land. Am 8. August 1946 traten die Angehörigen der Familie Schlarb eine lange Zugreise an, die sie an ihr nächstes, vorläufiges Zuhause bringen sollte. Gemeinsam mit Hunderten von anderen Flüchtlingen fuhren sie über Attnang-Puchheim, Salzburg und Nürnberg bis nach Windsheim im Mittelfranken. In Rodheim im Kreis Uffenheim bekam die Schlarbs erneut Quartiere zugeteilt, diesmal größer als zuvor, samt der Möglichkeit, in kleinem Rahmen Landwirtschaft zu betreiben. Bescheidene Erfolgserlebnisse schürten größere Hoffnungen: Zuerst schaffte man sich zwei Schweine, später dann sogar eine Kuh an. So fühlten sich die Schlarbs allmählich wieder als selbständige Bauern.
In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Deutschland in einem elendigen Zustand. Die Großstädte erstickten förmlich in Schutt und Asche, die Industrieproduktion lag danieder und, was die wirtschaftliche Misere noch verschlimmerte, 12,5 Millionen Flüchtlinge - neben Donauschwaben auch Sudetendeutsche, Schlesier, Ost- und Westpreußen - strömten ins Land und bettelten um Unterkunft und Verpflegung. Als die Kunde von einem neuen Flüchtlingssiedlungsgesetz Rodheim erreichte, nahmen die Schlarbs ihr Schicksal in die Hand:
Dank der Initiative des Jakob Schlarb sen., der unaufhörlich
umherreiste und Verbindungen mit der Bayerischen Landesregierung aufnahm,
wurde die sog. Pangerfilze der Sippe Schlarb als Kultivierungs- und Siedlungsgelände
angeboten.
(Chronik)
Ein Moor geschenkt zu bekommen, ist nicht jedes Bauern Wunsch. Denn
die Kultivierung einer solchen Landschaft setzt sowohl viel Geschick
in wasserbautechnischer Hinsicht als auch intensiven Arbeitseinsatz voraus.
Die Schlarb-Familie nahm die Herausforderung an, auch wenn die Nachbarbauern
an der Filze ihnen skeptisch entgegensahen. Bezeichnenderweise grenzen
zwei Moorgebiete an Schlarbhofen, die Hochrunst- und Kollerfilze, die bis
heute niemand der Mühe wert erachtet hat, urbar zu machen.
Die Brüder Schlarb
Drei
Vorteile hatte diese Bauernsippe, als sie dieses 145 Hektar große Moor
anging. Erstens verfügte sie über ein großes Arbeitskräftereservoir. Von Adams Söhnen hatten sechs den Krieg überlebt.
Diese hatten wiederum eigene Familien samt teilweise erwachsenen Kindern;
insgesamt waren es rund 50 arbeitsfähige Menschen. Darüber hinaus
kam ihnen das alte Wissen um die Bebauung von Mooren und Sümpfen entlang
der Flüsse Donau und Save in Jugoslawien zugute. Und schließlich
erhielten sie Hilfe von Expertenseite: Die Moorwirtschaftsstelle Großkarolinenfeld,
die ihrerseits einem von Pfälzern gegründeten Moorkultivierungsprojekt
entsprungen war, erteilte Rat und verlieh Spezialfahrzeuge.
Die Arbeit in der Pangerfilze nahm man am 15. Juni 1948 in Angriff. Doch zunächst musste die Kultivierung warten, denn für 71 Menschen musste Wohnraum her:
Auf dem Flugplatz in Bad Aibling werden drei Baracken abgerissen. Sorgfältig muß gearbeitet werden, damit sie wieder ordentlich als Wohnbaracken aufgestellt werden können. (Chronik)
Die Barracken, der erste Acker
Jetzt
geht alles Zug um Zug. Man arbeitet den ganzen Winter hindurch an der Entwässerung
der gerodeten Felder. Solange das Tageslicht reicht, werden die Hauptentwässerungskanäle
ausgehoben, zumeist mit der Hand. Männer legen Schienen hin zu den
Gräben, Frauen und Männer schieben Loren voll Aushub zu den
tieferen Stellen des Moores und füllen diese auf. Arbeiter und Arbeiterinnen
verlegen Tonrohre unter der Erde in einer Länge von 70 Kilometern;
es entsteht eine riesige Drainageanlage. Mit dem Frühling kommen die
ersten Früchte des Feldes: Die ersten Moorkartoffeln können geerntet
werden. In den folgenden Monaten und Jahren wird Unterschiedliches ausgesät:
neben Weizen, Mais und anderen Getreidesorten gedeiht im schwarzen Boden auch Hanf.
Bald können sich die mehr als siebzig Menschen ohne Fremdhilfe
ausschließlich vom Land ernähren. Aber nicht nur das, der Verkauf
ihrer Erzeugnisse beschert ihnen einen wachsenden Wohlstand, der sich in
der Anschaffung von Pferden, Kühen und Schweinen sowie von Traktoren
und anderem landwirtschaftlichem Gerät niederschlägt. Am 15. Mai
1952, knapp vier Jahre, nachdem die Schlarbs die Pangerfilze erstmals betraten,
wird der Grundstein zum ersten einer Reihe von Bauernhäusern gelegt.
Schienen werden zum Aushub gelegt
Erzählerin: ...wischte Jakob Schlarb sich eine Träne aus
dem Auge, denn er brachte seinen Sohn Martin zum Zug, und dieser Zug fuhr
nach Bremen, und von dort fuhr ein Schiff nach Kanada.
1. Stimme: Martin, der jüngste, wanderte aus und ging in die
Nickelgruben von Toronto, um Dollars zu verdienen...
Erzählerin: Aber Eva, die Schwester Martins, konnte nun ihre
Ausbildung als Dolmetscherin bezahlen.
Jakob: Für alle ist das Moor zu klein, Eva. Du taugst zum Studieren.
Hier soll Deine Heimat sein. Aber dein Brot, das verdienst du besser und
leichter draußen.
(Horst Mönnich, Hiob im Moor, Hamburg 1966, S. 73)
Die sechs Brüder Schlarb, d.s. die Söhne Adams, und deren Frauen sollten noch ihren Lebensabend in Schlarbhofen verbringen. Sie blieben dem aus Jugoslawien mitgebrachten Brauchtum, donauschwäbischen Dialekt und evangelischen Glauben treu. Obwohl manche von ihnen beinahe ihr halbes Leben in Bayern verbrachten, wurden sie nie Bayern; das wurde ihnen von ihren Nachbarn nicht vergönnt, das wollten sie auch selbst nicht. Schon manche ihrer Kinder zogen weiter in die nächst gelegene Kleinstadt Kolbermoor, andere sogar, wie vier Kinder Jakobs, wanderten nach dem weit entlegenen Kanada aus.
Schlarbhofen und Wendelstein
Für den Inhalt verantwortlich: Robert Schlarb, Graz
Österreich
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